[Rezension] Jack Ketchum & Lucky McKee: "Scar"

Die Hauptrolle in „Scar“ spielt die kleine Delia Cross – und das im wortwörtlichen Sinne. 

Die 11-Jährige ist bereits ein kleiner Star und verdient mit Werbespots oder Serienrollen eine Menge Geld. Die Schule und ihre Kindheit bleiben dabei auf der Strecke. Unterstützt, oder besser gesagt gemanagt und getriezt, wird sie von ihrer Mutter Pat, die ihre Tochter mit Dollarzeichen in den Augen von einem Casting zum nächsten schickt.

Was Delia möchte, steht nicht zur Debatte – sie hat zu funktionieren und das stolze Image der Familie zu wahren. Zur Seite steht ihr dabei nur Caity: Der Familienhund. Denn für Freunde bleibt keine Zeit und auch auf des Rest der Familie kann sie sich nicht verlassen.

Denn es geht weiter mit den unschönen Verhältnissen. Delias Vater ist dem Alkohol verfallen, seiner Frau nicht ebenbürtig und einer funktionierenden Familie damit nicht sonderlich zuträglich. Und Delias Zwillingsbruder Rob – wie könnte es anders sein – steht stets im Schatten des berühmten Familienmitglieds. 

Doch als Rob seiner Schwester eines Nachts einen Streich spielen will, wendet sich das Blatt.

Delias Zimmer steht plötzlich in Flammen und das Mädchen überlebt diesen Unfall nur knapp. Tiefen Narben zeichnen fortan ihr Gesicht und ihre Seele.

Doch das ist kein Grund für ihre Mutter kürzer zu treten – im Gegenteil: Ein Familienhund, der der nun entstellten Jungschauspielerin das Leben rettet! Das sind Schlagzeilen!

Gefundenes Fressen für Delias Mutter und die Presse! Und dann gehen die Tragödien erst richtig los..


Zunächst sollte man anmerken, dass der Titel unter dem Label „Heyne Hardcore“ erschienen ist und DAS wahrscheinlich zu hohe Erwartungen gesetzt hat. „Heyne Hardcore“ steht für Literatur fernab des Mainstreams und überzeugt durch stets unkonventionelle und qualitativ hochwertige Geschichten. Leider konnten meine Erwartungen an Label und Autor dieses Mal nicht erfüllt werden. 

„Scar“ ist m.E. in erster Linie ein Familiendrama. Im Mittelpunkt stehen definitiv die innerfamiliären Tragödien, die ein ums andere Mal Kopfschütteln erzeugen. 

Denn wie obig beschrieben, treffen wir hier auf eine völlig zerrüttete Familie, die nach außen den Schein zu wahren versucht. Das garantiert in jedem Fall spannende Einblicke in eine Welt, die Außenstehenden sonst verschlossen bleibt.

Dieses Buch ist auch als Roman deklariert und erhebt dadurch nicht den Anspruch, eine Horrorgeschichte zu sein, wie man sie sonst von diesem Autor kennt. Gerade deshalb ist es so spannend, dass Jack Ketchum in ein anderes Genres einlädt. 

Doch Ketchum ist nun mal als Autor von Horrorgeschichten bekannt und konnte wohl nicht die Finger davon lassen, selbige Elemente dann doch gegen Ende des Buches einzuflechten. Doch die Veränderungen ins Übersinnliche sind nicht sonderlich gelungen. So einflusslos, beiläufig und unausgearbeitet wirft der Plot zu viele Fragen auf. Hier entsteht keine Tiefe und das ist deshalb so schade, weil sich während des Romans selbst schon kaum eine Beziehung zu den Figuren aufbauen lässt:

Sämtliche Charaktere (auch die Protagonisten) sind bis zum Schluss nicht richtig greifbar und bleiben als leere Hüllen im Gedächtnis. Auch die Dialoge sind sehr oberflächlich gehalten, wodurch es schwer fällt, mit den Figuren zu fühlen und denken. Da wurde meines Erachtens durch die geringe Seitenzahl sehr viel Potenzial verschenkt, da der Plot und die handelnden Charaktere sehr vielversprechend starteten. 

Große Ausnahme bildet hier lediglich die Figur der Mutter. Obschon auch ihr Charakter nicht sonderlich präsent ausgearbeitet wurde, gibt es wohl kaum Romanfiguren, die mehr Verachtung verdient haben. Als Pädagogin und Tierfreundin gingen mir einige Szenen sehr an die Nieren. 

Das liegt nicht zuletzt daran, dass einige Passagen in kursiv geschrieben sind und die Sicht des Hundes zeigen. Caity bleibt damit nicht nur „irgendein“ Tier, sondern bekommt eine ganz besondere Rolle und überholt in ihrer Bedeutung und Sympathie schnell die eigentliche Protagonistin Delia. 

Insgesamt ist der Plot in der Theorie sehr ansprechend und auch an den ungewöhnlichen Schreibstil der Autoren gewöhnt man sich schnell. Die Spannung entwickelt sich dann in der zweiten Hälfte des Romans. Hier erwarten uns dann auch weitere, erschütternde Wendungen und die Spirale an Tragödien scheint kein Ende nehmen zu wollen. Das ist in jedem Fall unangenehm und deshalb so mitreißend. 


Dennoch gibt es für „Scar“ 6 von 10 Krönchen. 
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 Titel: "Scar"
AutorIn: Jack Ketchum und Lucky McKee
Verlag: Heyne Hardcore (Random House)
ISBN: 978-3-453-67717-3 (Taschenbuch)
Varianten: Taschenbuch mit Broschur oder eBook
Veröffentlichung: 10.04.2017
336 Seiten
Preis: 14,99€ (TB)
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Dieses Buch ist ein Rezensionsexemplar. Vielen Dank an den Verlag!

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